Die Uhr-Schweiz ist wahrlich krisenerprobt. Das geht aus den beiden zurückliegenden Folgen dieser Serie deutlich hervor. (Artikel 1 + Artikel 2 ) |
Die sogenannte »Amerikanische Krise« resultierte aus der viel weiter fortgeschrittenen Mechanisierung der überseeischen Konkurrenz In den »Roaring Twenties« dieses Jahrhunderts führten der rasche Wandel von der Taschen- zur Armbanduhr sowie der Zusammenbruch des kaufkräftigen und -willigen russischen Zarenreichs zum leidvollen Aus mehrerer renommierter Uhrenfirmen. In den dreißiger Jahren setzen die ökonomischen Konsequenzen des »Black Friday« an der New Yorker Wall Street der Uhrenindustrie heftig zu. Das ETA-Kaliber 2892-2 zählt zweifelsohne zu den Rennern der Mechanik-Kaliber mit automatischem Aufzug. Die veredelte Version wie sie bei Minerva zum Einsatz kommt. Dann schien es jahrzehntelang so, als könne das kräftig sprudelnde Wässerchen der Uhrenfertigung durch nichts getrübt werden. Speziell auf dem Sektor der mechanischen Armbanduhr mit Komplikationen aller Art, darunter insbesondere der automatische Aufzug und der Chronograph, erwies sich die Eidgenossenschaft als Wegbereiter oder gar Monopolist vieler herausragender Entwicklungen. Alle Welt blickte mehr oder minder neidvoll auf die Uhr-Schweiz. Die Schweizer Uhr sonnte sich im mühevoll erworbenen und deshalb sorgsam gehüteten Ruhm. Doch zu viel Erfolg macht bekanntlich träge und arrogant. So auch geschehen in der Schweiz. Bereits in den späten sechziger Jahren zogen am (fern-)östlichen Firmament erste dunkle Wolken auf, denen anfangs jedoch kaum jemand Beachtung schenkte. Erst als sie sich rasch zu einer gewaltigen Gewitterfront auftürmten und in den siebziger Jahren, begünstigt durch den sogenannten Ölpreis-Schock, ein riesiges Unwetter über der Schweizer Uhrenindustrie niedergehen ließen, wachte man erschrocken auf. Viele der Uhr-Eidgenossen hatten der beispiellosen fernöstlichen Quarzoffensive nur wenig entgegenzusetzen. Hunderte wenn nicht Tausende von Uhrmachern wurden zunächst einmal arbeitslos. Später fanden sie in anderen Bereichen der Mikro-Mechanik und -Elektronik neue, aus damaliger Sicht auch zukunftsträchtigere Jobs. Für die Uhrenindustrie, die die Uhrmacher später händeringend wieder brauchen würde, waren sie damit freilich größtenteils verloren. In einstmals blühenden Ortschaften starrten die dunklen, schmutzigen Fenster der typischen Uhrenfabrikgebäude den mehr oder minder achtlos Durcheilenden trotzig entgegen. |
![]() In dem Maße wie sich an den Handgelenken der einstigen Stammkunden fernöstliche Quarz-Chronometer breitmachten, schien die Uhr-Schweiz international an Bedeutung zu verlieren. Doch das war nur vorübergehend. In den Ateliers im oder am Fuße des Jura wurde fieberhaft am Comeback gearbeitet. Die Besinnung auf einstige Kreativität, lange Erfahrung und vergessen geglaubte handwerkliche Fähigkeiten sollte, gepaart mit neuen Technologien, helfen, den verlorenen Boden wieder gutzumachen. Als Bundesgenossen gesellten sich hinzu: eine Luxuswelle in den Industrieländern und der Überdruß gehobener fernöstlicher Bevölkerungsschichten an den eigenen Erzeugnissen. Der Coup gelang. Die Schweizer Uhrenindustrie erlebte ab Beginn der achtziger Jahre einen Boom ungeahnten Ausmaßes. Die mechanische Uhr hatte daran einen beträchtlichen Anteil. 1997 exportierten die Eidgenossen erstmals in ihrer Geschichte Zeitmesser im Wert von mehr als acht Milliarden Schweizer Franken (8,311 Milliarden). Stückzahlmäßig waren 90,6% elektronisch. Aber hinsichtlich des Werts entfielen 46,7 % des gigantischen Betrags auf Produkte mit konventioneller Mechanik. Die Zusammenstellung des Automatikmechanismus des ETA 2892-2 An einer Tatsache gab es trotz Mechanik-Boom nichts zu rütteln: Nur radikale Verschlankung konnte das Überleben der Mechanik-Spezialisten sichern. Die Fabrikation Hunderter verschiedener Mechanik-Kaliber in relativ kleinen oder gar kleinsten Serien zur Erfüllung individueller Wünsche, zur Störung der Konkurrenz oder zur Beherzigung des MarketingPrinzips »Wer vieles bietet, wird manchem etwas bieten.« ließ sich auch mit Blick auf die heikle Situation kaum mehr verantworten. Diese selbstzerstörerische Politik hatten Branchenkenner übrigens mehrfach angeprangert. Ihr Rufen wollte jedoch niemand hören. Die industriellen Strukturen hatten sich einem Wandel zu unterziehen. Die Umstände erforderten massive Umgruppierungen und/oder Konzentrationen, auch wenn sie teilweise extrem schmerzhaft waren. |
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Konzentration auf das Essentielle
Von all dem blieb, wie bereits zu lesen war, 1984 auch die (über-)mächtige Holding Ebauches S.A. nicht verschont. Mit der Eingliederung in den SMH-Konzern (Socie'te' Suisse de Microe'lectronique et d'horlogerie) mußte sich die neue ETA S.A. Gedanken über ihre Rohwerke-Zukunft machen. Aufbau des Basiswerks des 8 3/4 linigen Kalibers ETA 2000 Am Fortbestand der seit den siebziger Jahren betriebenen Aufgliederung in elektronische und mechanische Uhrwerke gab es nichts zu rütteln. Allerdings war bei den echten »Tickern« aus ökonomischen Gründen eine Konzentration auf das Wesentliche unverzichtbar. Immerhin sollten, ja mußten die verfügbaren ETA-Kaliber auch mit Blick auf die Zukunft der eidgenössischen Uhrenindustrie bezahlbar bleiben. Und das verlangt bei Entwicklungskosten in Millionenhöhe nun einmal große Stückzahlen. In diesem Sinne führten die Zwänge einer neuen Zeitordnung in der auf Massenfertigung ausgerichteten ETA S.A. zum reflektierten »Eindampfen« der Produktpalette. Übrig blieben bewährte Basis-Kaliber, die teilweise durch sinnvolle Zusatzfunktionen ergänzt wurden. Zeigeraufbaubau ETA 2000 Bei den normalen Automatiks bedeutete das u. a. die konsequente Abkehr von den AS-und Felsa-Konstruktionen. Was blieb. waren die ETA-Prinzipien der Selbstaufzugs-Baugruppe, also Kugellagerrotor. Klinkenwechsler, Servicefreundlichkeit durch Module und möglichst wenige Komponenten. Hinzu kamen und kommen Handaufzugswerke in diversen Größen und Ausführungen, die ihren Ursprung bei den ehemaligen Ebauches-Töchtern Peseux (7001) oder Unitas (6497 und 6498) haben. Montage des Automatik-Kalibers ETA 2000 Die Automatik-Chronographen 7750 und 7751 sowie die abgespeckten Handaufzugs-Versionen 7760 und 7765 gehen. wie allgemein bekannt sein dürfte, auf die Valjoux S.A. zurück. Das neue, inzwischen sehr überschaubare Werkespektrum rangiert bei ETA unter der Bezeichnung »Mecaline«, wobei der Grenchener Hersteller zwischen den einfachen Kalibern und den »Spezialitäten« (extraflache und komplizierte Werke) unterscheidet. Die klassischen Automatik-Linien lassen sich in dem Raster der Tabellen der zusammenfassen. Die Bezeichnungen »-1«, »-2« ... »-n« hinter der eigentlichen Kalibernummer geben die Zahl der Überarbeitungsstufen an. 2892-2 meint also die zweite überarbeitete Version des Basis-Kalibers 2892. ZS steht für Zentralsekunde. Eine Linie entspricht 2.26 Millimetern. |
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MECALINE »STANDARD«
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MECALINE Spezialitäten
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MECALINE Spezialitäten mit Zusatzfunktionen
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Alles eine Kostenfrage
Entwicklungsgeschichte eines Eta Werkes: Soweit das Automatik-Angebot der ETA selbst. Wem das nicht reicht, wer als Uhrenfabrikant höhere Ansprüche hinsichtlich Ausstattung, Feinbearbeitung, Reglage und/oder Zusatzfunktionen seiner ETA-Kaliber stellt, muß sich an einen spezialisierten »Aufrichter« wenden. Dazu zählen zum Beispiel die Jaquet-Baume S.A., La Chaux-de-Fonds, die Petitjean S.A., Les Brenets, oder die Soprod S.A., Societe de production horlogere, Tramelan, wenden. Im Eterna »Pulsometer-Chronograph« aus dem Jahre 1997 kommt das Kaliber ETA 2992-2 zum Einsatz. Dort erhält er - beinahe - alles. was das Herz begehrt, angefangen von beliebigen Gravuren bis hin zur Skelettierung. Die Aufpreisliste, die in einer der nächsten Folgen zu erörtern sein wird, liest sich wie der Zubehör-Katalog namhafter Autohersteller. Am Ende aller Verfeinerungsmaßnahmen kann ein Kaliber ETA 2892-2, das viele vermeintliche »Uhrenkenner« nur naserümpfend betrachten, ganz locker mit mehr als 200 Franken in die Kalkulation einer Automatik-Armbanduhr einfließen. |
Quelle: Text und Fotos mit freundlicher Genehmigung von Gisbert L. Brunner
Artikel von Gisbert L. Brunner aus dem Branchenmagazin Uhren Juwelen Schmuck, Januar 1998:
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